erinnern – handeln – widersetzen

Eine Veranstaltungsreihe der Projektstelle Erinnerungs- und Lernort „Alter Schlachthof“ des AStA der HSD im Wintersemester 2017/2018. Eintritt frei.

Im Februar 2016 konnte der Erinnerungsort „Alter Schlachthof“ der Hochschule Düsseldorf eröffnet werden. Aber das Projekt ist noch lange nicht abgeschlossen. Ein weiterer Baustein ist ein vielfältiges Bildungsangebot. Um der Forderung des AStA nach einem lebendigen Ort der Erinnerung Nachdruck zu verleihen, startet im Wintersemester 2017/18 eine Veranstaltungsreihe mit dem Titel: „erinnern – handeln – widersetzen“. Diese soll durch Vorträge, Lesungen und Exkursionen eine aktive Auseinandersetzung mit dem NS am historischen Ort ermöglicht. Das Wissen über die historischen Ereignisse ist Voraussetzung für die Erinnerung. Dieses Wissen soll es ermöglichen, Bezüge zur Gegenwart herzustellen, um aktuellen Formen (extrem) rechter Gewalt und Diskriminierung entschlossen entgegentreten zu können. Rassismus und Antisemitismus bilden nach wie vor die Ursache für einige Formen von Diskriminierung und Ausgrenzung.

Ein Themenschwerpunkt der Reihe ist die Deportation vom Schlachthof als arbeitsteiliger Prozess und die Biografien der Verschleppten. Einen aktuellen Schwerpunkt im Wintersemester 2017/18 bildet die „Aktion Reinhardt“, die vor 75 Jahren begann. Vom März 1942 bis November 1943 ermordeten die deutschen Besatzer in Polen zirka zwei Millionen jüdische Menschen, die meisten durch Gas in den „Aktion Reinhardt“-Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka. Dabei gingen die Täter so „effizient“ vor, dass bis heute nur wenig über ihre Verbrechen und Opfer bekannt ist. Weniger als 150 der in eines dieser Lager Deportierten überlebten.
Wissenschaftler_innen, Autor_innen und Student_innen präsentieren ihre Forschungsergebnisse und Werke. Im Anschluss an die Vorträge ist eine Diskussion ausdrücklich erwünscht.

Donnerstag, 12. Oktober 2017, 18.30 Uhr
Das Attentat auf Reinhard Heydrich 1942. Eine freie biografische Erzählung anhand seltener Fotos
Referent: Hellmut G. Haasis (Reutlingen)

Sonntag, 15. Oktober 2017, ab 10.30 Uhr
Die zentrale Deportationssammelstelle im deutsch besetzten Belgien – Ganztägige Exkursion zur „Kazerne Dossin“ in Mechelen

Donnerstag, 19. Oktober 2017, 18.30 Uhr
Zurück in das Land, das uns töten wollte. Jüdische Remigrantinnen erzählen ihr Leben
Referentin: Andrea von Treuenfeld (Berlin)

Donnerstag 16. November 2017, 18.30 Uhr
Deportiert vom Rheinland in das Ghetto von Minsk. Der Transportbericht des Schutzpolizisten Wilhelm Meurin vom November 1941
Referent: Dr. Bastian Fleermann (Düsseldorf)

Donnerstag, 14. Dezember 2017, 18.30 Uhr
Widerstand bei Rheinmetall während der NS-Herrschaft
Referent: Stefan Mühlhausen (Düsseldorf)

Donnerstag, 11. Januar 2018, 18.30 Uhr
Der Kern des Holocaust: Aktion Reinhardt. Die Ermordung der polnischen Juden im Holocaust und das Gedenken an den Verlust
Referent: Dr. Stephan Lehnstaedt (Berlin)

Kontakt
Projektstelle Erinnerungs- und Lernort „Alter Schlachthof“
AStA HSD, Münsterstr. 156, 40476 Düsseldorf
Tel.: 0211 / 4351-2904, E-Mail: erinnerungsort@asta-fh-duesseldorf.de

Veranstaltungsort
Sofern nicht anders angegeben: Hochschule Düsseldorf, Gebäude 3, Erdgeschoss, Studierendencafé Freiraum, Münsterstraße 156, Düsseldorf.

Anfahrt
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln:
Düsseldorf-Derendorf (S):
S-Bahnen S1, S6 oder S11, Straßenbahn 701,
Busse 733, 752, 756, 758, 807, 834, SB 55
Rather Str./HSD:
Straßenbahn 701, 704, Busse 807, 834
PKW: Zufahrt zur Tiefgarage über Toulouser Allee

Programm

Donnerstag, 12. Oktober 2017, 18.30 Uhr
Das Attentat auf Reinhard Heydrich 1942. Eine freie biografische Erzählung anhand seltener Fotos

Referent: Hellmut G. Haasis (Reutlingen)

Reinhard Heydrich trat 1941 in Prag als Hitlers härtester Statthalter an, täglich ließ er Hunderte tschechischer Gefangener erschießen, von Ermittlungen und Gerichten hielt er nichts. Die Exilregierung in London setzte daraufhin Fallschirmspringer im „Protektorat“ ab, denen es gelang, in Prag ein Attentat auf Heydrich zu verüben, an dessen Folgen dieser einige Tage später starb. Hitler ließ als Rache unter anderem das völlig unbeteiligte Dorf Lidice dem Erdboden gleich machen. Alle männlichen Einwohner ab 15 Jahre wurden sofort erschossen, die Frauen ins KZ Ravensbrück verschleppt und 82 Kinder im KZ Kulmhof vergast. 450.000 deutsche Bewaffnete suchten drei Wochen lang im „Protektorat“ nach den Partisanen. Ein tschechischer Verräter verdiente sich die ausgelobte Belohnung, nach dem Krieg endete er am Galgen. 800 SS-Leute umstellten frühmorgens das Versteck der Widerstandskämpfer. Nach stundenlangem Gefecht erschossen sich die bis dahin noch Lebenden, keiner wollte deutschen Folterknechten in die Hände fallen.
Die Beseitigung des Gestapochefs und Holocaust-Organisators Heydrich war einer der erfolgreichsten Schläge des europäischen Widerstands. Den treffendsten Nachruf auf Heydrichs verdientes Ende schrieb der deutsche Autor Thomas Mann im Exil. Seinen Text warfen die Alliierten aus Flugzeugen ab – was die Deutschen Thomas Mann sehr übel nahmen, bis sie alles vergaßen, gerne vergaßen. Erst 2002 gab es eine wissenschaftliche Erforschung von Heydrichs Leben und seines für einen Gestapo-Chef peinlichen Endes. Die tsch.-slow. KP diffamierte die Widerstandstat sogar, weil nicht sowjetische Flugzeuge die Partisanen eingeflogen hatten, sondern britische, also „Klassenfeinde“.

Hellmut G. Haasis, geb. 1942 in Mühlacker, studierte Theologie, Geschichte, Soziologie und Politik. Er arbeitet als Publizist, Verleger und Rundfunkautor. Ausgezeichnet mit dem Thaddäus-Troll-Preis, dem Civis-Medienpreis der ARD, dem Schubart-Preis der Stadt Aalen und dem Ludwig-Uhland-Preis. Mit seiner Biographie über den Widerstandskämpfer
gegen den Nationalsozialismus Georg Elser aus dem Jahr 1999 stieß Haasis die Würdigung des Hitler-Attentäters maßgeblich an.

Sonntag, 15. Oktober 2017, ab 10.30 Uhr
Die zentrale Deportationssammelstelle im deutsch besetzten Belgien – Ganztägige Exkursion zur „Kazerne Dossin“ in Mechelen
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der HSD

Über 25.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder sowie Hunderte Sinti und Roma wurden zwischen 1942 und 1944 aus dem deutsch besetzten Belgien in das Mordlager Auschwitz-Birkenau verschleppt. Gemeinsam mit einem Guide erkunden wir die „Kazerne Dossin“ in Mechelen, das frühere zentrale „SS-Sammellager“ für insgesamt 28 Deportationen. 1995 wurde hier das Jüdische Deportations- und Widerstandsmuseum errichtet, das im Jahr 2012 komplett modernisiert wurde und seitdem unter „Kazerne Dossin – Gedenkstätte, Museum und Dokumentationszentrum für Holocaust und Menschenrechte“ bekannt ist. Hier werden wir auch etwas über die Geschichte des einzigen Überfalls auf einen Deportationszug erfahren.

Treffpunkt: Hochschule Düsseldorf Haupteingang Münsterstraße 156
Abfahrt: 10.30 Uhr (pünktlich),Rückkehr: 19.30 Uhr
Anmeldung bis 13. Oktober 2017 an: E-Mail: erinnerungsort[at]asta-fh-duesseldorf.de. Maximal 20 TeilnehmerInnen (Warteliste), Studierende bevorzugt.
Teilnahmebeitrag : 10,- Euro

Donnerstag, 19. Oktober 2017, 18.30 Uhr
Zurück in das Land, das uns töten wollte. Jüdische Remigrantinnen erzählen ihr Leben
Referentin: Andrea von Treuenfeld (Berlin)

Die Autorin Andrea von Treuenfeld stellt in dieser Veranstaltung unter anderem ihr Buch „Zurück in das Land, das uns töten wollte“ vor. 16 jüdische Remigrantinnen, die die NS-Barbarei überlebt haben und aus Deutschland flohen, erzählen darin ihr Leben: erschütternde, beeindruckende und zum Nachdenken anregende Zeitzeuginnenberichte. Von Treuenfelds Gesprächspartnerinnen haben in Argentinien überlebt, in Uruguay und Chile, in Polen und Shanghai – und in Palästina. Sie durften jahrzehntelang das kommunistische Rumänien nicht verlassen, wurden katholisch getauft oder sind sind überzeugte Israelin geworden. Sie haben keinen deutschen Pass und heute mehr Angst vor Antisemitismus als damals. Und dennoch: Sie leben wieder hier, im Land der Täter. Wie war es möglich für Menschen, die in diesem Land verfolgt worden waren, umgebracht werden sollten, ihre Familie verloren hatten, sich ausgerechnet hier wieder niederzulassen? Wie erlebten sie ihre Kindheit in der Zeit des Nationalsozialismus, wie ihre Flucht, wie das Zurechtfinden in einer fremden Umgebung und auch den Weg zurück? Und: Wie leben sie nach dem Holocaust als Jüdin in Deutschland? Berührende Lebensgeschichten, die Mahnung und Hoffnung zugleich sind.
Die Schatten der Vergangenheit prägten auch die Kindheit der Zweiten Generation. Aus Ihrem aktuellen Buch „Erben des Holocaust“ wird die Autorin uns ebenfalls einige Auszüge vorstellen. Wie sind die Nachgeborenen mit den Traumata der Eltern umgegangen? Und wie war es für sie, in einem Land aufzuwachsen, das noch wenige Jahre zuvor ihre jüdische Familie auslöschen wollte?

Andrea von Treuenfeld, geb. 1957, hat in Münster Publizistik und Germanistik studiert und nach einem Volontariat bei einer überregionalen Tageszeitung lange als Kolumnistin, Korrespondentin und Leitende Redakteurin für namhafte Printmedien, darunter „Welt am Sonntag“ und „Wirtschaftswoche“, gearbeitet. Heute lebt sie in Berlin und schreibt als freie Journalistin Porträts und Biografien.

Donnerstag 16. November 2017, 18.30 Uhr
Deportiert vom Rheinland in das Ghetto von Minsk. Der Transportbericht des Schutzpolizisten Wilhelm Meurin vom November 1941
Referent: Dr. Bastian Fleermann (Düsseldorf), In Kooperation mit der HSD

Am 10. November 1941 verließ ein Deportationszug den Güterbahnhof Derendorf. Sein Ziel: das Ghetto in Minsk im heutigen Belarus. Die Menschen fuhren ins Ungewisse und
ahnten nicht, dass nur fünf von ihnen das Kriegsende erleben würden. Der 2012 in einem Londoner Archiv aufgefundene Bericht des Düsseldorfer Schutzpolizisten Wilhelm Meurin, in dem die Deportation von 992 jüdischen Menschen aus dem Rheinland in das Ghetto von Minsk geschildert wird, ist ein wichtiges Schriftdokument zum Verständnis des Holocaust. Der Referent stellt in seinem Vortrag diesen Text in einen Gesamtzusammenhang. Wer war der Autor? Wie erlebten die Opfer diesen „Transport“? Welche Hintergründe hatte der Minsk-Transport? Und was erwartete die nach Weißrussland verschleppten Menschen im dortigen Ghetto?

Dr. Bastian Fleermann ist Leiter der Mahn- und Gedenkstätte der Landeshauptstadt Düsseldorf. Er forscht zur NS-Herrschaft in Düsseldorf und im Rheinland sowie zur jüdischen Regionalgeschichte.

Donnerstag, 14. Dezember 2017, 18.30 Uhr
Widerstand bei Rheinmetall während der NS-Herrschaft
Referent: Stefan Mühlhausen (Düsseldorf)
HSD, Münsterstr. 156, Geb.3, Raum 1.001, In Kooperation mit der HSD

Rheinmetall, in unmittelbarer Nachbarschaft zum damaligen Schlachthof gelegen, ist einer der bedeutendsten deutschen Rüstungskonzerne. Während des Zweiten Weltkrieges setzte dieser Tausende ausländischer ZwangsarbeiterInnen ein. Aus dem ArbeiterInnenmilieu entwickelte sich angesichts der massiven Aufrüstung in den 1930er Jahren Widerstand. Während des Krieges wurde versucht, Sand in die gut geölte Rüstungsmaschinerie zu streuen. Der Vortrag nimmt diesen Widerstand näher unter die Lupe.

Donnerstag, 11. Januar 2018, 18.30 Uhr
Der Kern des Holocaust: Aktion Reinhardt. Die Ermordung der polnischen Juden im Holocaust und das Gedenken an den Verlust
Referent: Dr. Stephan Lehnstaedt (Berlin)

Unter der Tarnbezeichnung „Aktion Reinhardt“ deportierten die Deutschen Juden aus den Ghettos im besetzten Polen und vergasten sie in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka. Bis November 1943 ermordeten sie dabei annähernd zwei Millionen Menschen, verbrannten die Leichen und vergruben die Asche. Weniger als 150 Menschen überlebten. In Deutschland ist dieser Teil des Holocaust in weiten Teilen vergessen und verdrängt. Dabei steht die „Aktion Reinhardt“ für die Quintessenz des Hasses und des deutschen Antisemitismus. Sie war die reine Vernichtung ohne irgendwelchen sonstigen „Nutzen“ wie etwa Zwangsarbeit oder pseudomedizinische Experimente. Doch ohne Zeitzeugen und materielle Spuren gibt es schlicht keine Aufmerksamkeit für Geschichte und Gegenwart dieses Teils des Genozids. Verliert hier ein präzedenzloses Verbrechen seine Relevanz?

Dr. Stephan Lehnstaedt ist Professor für Holocaust-Studien und Jüdische Studien am Touro College Berlin. Von 2005 bis 2009 arbeitete er am Institut für Zeitgeschichte München und von 2010 bis 2016 am Deutschen Historischen Institut Warschau. Er promovierte 2008 an der Ludwig-Maximilians-Universität München und habilitierte 2014 an der Technischen Universität Chemnitz zu Neuerer und Neuester Geschichte. Stephan Lehnstaedt legte mit seinem Buch „ Der Kern des Holocaust“ die erste Gesamtdarstellung der „Aktion Reinhardt“ in deutscher Sprache vor.